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Der Stöckchen-Erotiker – Von Elmar Schnitzer

Elmar Schnitzer auf Fiffibene
Neele
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„Es ist leichter, einer Begierde zu entsagen, als mit ihr Maß zu halten.“ Das ist keine Erkenntnis von mir, sondern eine von Nietzsche. „Wenn du zum Weibe gehst…“ Der, genau. Wie weise ist, was er erkannte, erfahre ich täglich bei meinen Spaziergängen, die nicht zum Weibe führen, sondern mit meinem Rottweiler Kalle in den Wald.

Von Elmar Schnitzer

 

Stöckchen sind Dogs best Friends. Und Kalles große Passion. Er ist geradezu verrückt nach Stöckchen. So verrückt, dass er gar nicht merkt, dass nicht er es ist, der die Stöckchen verfolgt. Die Stöckchen verfolgen ihn. Der Wald vor unserem Haus ist ein einziges Schlaraffenland der Stöckchen. Wo Kalle geht oder kurz auf drei Beinen steht, liegen welche und versuchen ihn. Das bringt ihn in Stress. Er will sie alle. Und am liebsten alle auf einmal. Was auch bei großem Maul und größter Gier nicht machbar ist und zur Folge hat, dass er permanent vor der Frage steht, welchen Stock er sich zuerst schnappen und wie er es am schlauesten anstellen kann, dass ihm von den anderen ja keiner entgeht. Bei so viel Adrenalin-Terror kann er von Glück sagen, dass seine Spezies nicht schwitzt. Sonst könnte er im eigenen Schweiß ein Vollbad nehmen.

Kalle ist ein Stöckchen-Erotiker, die Hölzer seine Gespielinnen.

 

Jedoch: Zu glauben, Stöckchen wären für Kalle einfach nur kleine Bäume, die speziell für ihn aus der Erde wachsen, geht weit an der Sache vorbei. Kalle ist ein Stöckchen-Erotiker, die Hölzer seine Gespielinnen. Die Auswahl ist ganz und gar Liebhabersache und erklärt gleichzeitig, warum er sich sehr viel lieber mit Stöckchen und ausgesprochen ungern mit Stöckchen und mir beschäftigt: Welcher Mann teilt seine Gespielin schon freiwillig mit einem anderen…

Die besten Stöckchen sind wie Pfirsiche, mit samtener Haut, zartem Fleisch und hartem Kern…

 

Jedes Stöckchen ist für Kalle ein Solitär, mit eigenem Aroma und eigenem Maulgefühl, aus unterschiedlichstem Holz und von unterschiedlicher Form. Hart, weich, rund, eckig, mit und ohne picksende Zwergästchen, die wie Bartstoppeln aus der Rinde spitzen. Lang, kurz, dick, dünn oder gerade. Und jedes hat seinen persönlichen Duft, die jungen, die mittelalten und die alten, also die, die bereits im Zustand süßen Verfaulens sind. Die besten Stöckchen sind wie Pfirsiche, mit samtener Haut, zartem Fleisch und hartem Kern, der Kalles Zähnen ordentlich kontra gibt. Sie zu finden ist die Königsdisziplin, sie zu knacken die Krönung.

Elmar Schnitzer auf Fiffibene

Allesamt entfachen sie in Kalle einen Feuersturm der Gefühle, erfüllen ihn mit kindlicher Spielfreude ebenso wie mit dem rauschhaften Glück des Überlegenen. Lassen ihn seine Kraft spüren und machen ihm seine Macht bewusst. Was für ihn nicht ohne Tücke ist. Im gleichen Maße, in dem er im Mut erstarkt, verausgabt er sich im Übermut, was wiederum oft genug auch für eigenen Unmut sorgt.

Geschmäcklerisch tastet sich Kalle zunächst mit seinem Riechorgan und danach mit seinen Vorderzähnen an die Hölzer heran, schnüffelt, prüft mit dem Gebiss, oben, unten, in der Mitte…

 

Geschmäcklerisch tastet sich Kalle zunächst mit seinem Riechorgan und danach mit seinen Vorderzähnen an die Hölzer heran, schnüffelt, prüft mit dem Gebiss, oben, unten, in der Mitte. Dann kommt der alles entscheidende Augenblick: Entweder wendet Kalle sich beleidigt ab, weil das Stöckchen nicht gehalten hat, was er sich von ihm versprach. Oder das Werben um seine Gunst beginnt. Da ist Kalle echt erfinderisch. Zunächst toben sich seine Beißerchen auf dem Holz aus, mal fester, mal weniger fest, mal zärtlich, und testen so aus, wie lange es ihnen standhält, ehe es sich krachend und splitternd in einen Hain von Mini-Hölzern auflöst. Am meisten Spaß hat Kalle mit Klein-Holz, das Springpferde hinterlassen. Die Reste der runden, bunten Hindernisstangen sind herrlich widerspenstig. Ehe die klein beigeben, muss er nicht nur Schwerstarbeit leisten, sondern auch Beharrlichkeit beweisen. Andere Hunde scheuen das, Kalle nicht. Er liebt die Herausforderung. Es war eben schon immer etwas anstrengender, einen besonderen Geschmack zu haben.

Ist ihm eine seiner Eroberungen zu klein, wechselt er vom Hölzchen auf große Äste.

 

Elmar Schnitzer auf Fiffibene

Weniger kompakten Stöckchen und Stöcken verhilft er auch gerne mal zu einem Höhenflug, auf dass sie danach wieder in seinem Fang landen. Wieder andere trägt er nur von einem Stöckchen zum nächsten, weil er ohne nicht sein will. Süchtig nennt man so was. Ist ihm eine seiner Eroberungen zu klein, wechselt er vom Hölzchen auf große Äste. Zerrt sie voller Inbrunst hin und her und wechselt nach athletischem Schüttelexzess in den Waldarbeiterjob, um ihnen mit seinen Zähnen die Widerhaken abzuhaken, die einem festen Zugriff auf den Stamm im Wege stehen. Um seine Beute schließlich hoch erhobenen Hauptes mit sich zu tragen.

Respekt vor Größe ist ihm fremd.

 

Stolz ist die Schönheit des Mannes. Respekt vor Größe ist ihm fremd. Selbst Äste von 1,5 Metern Länge, dick wie Männeroberarme und teilweise geringelt wie Nattern nimmt er quer oder schleppt sie mit großer Lust und scheinbar mühelos lange Strecken hinter sich her. Passanten ermuntert das gerne zu einem Scherz, der angesichts vielfacher Wiederholung längst Rente beziehen müsste: „Ihr Hund trägt Ihnen wohl das Kaminholz nach Hause…“ Dem ist mitnichten so, leider. Verliert Kalle die Lust an seiner Last, lässt er sie fallen wie ein gelangweilter Liebhaber seine Muse.

…So lernte Kalle einzusehen, dass er nicht alles und nicht jede nach Herzenslust beuteln kann…

 

Es kommt aber durchaus auch vor, dass sich Kalle bei seinen Vergnügungen die Zähne ausbeißt, speziell an entwurzelten Baumstämmen, die er als stete Herausforderung ansieht, weil sie sich ihm konsequent verweigern. Und wenn er sich noch so ins Zeug legt. Sie bleiben zu schwer und zu mächtig und sind überdies auch noch mit Ästen bestückt, die ihm wie Lanzen entgegenstehen und jede seiner Attacken vereiteln. Was auch sein Gutes hat: So lernte Kalle einzusehen, dass er nicht alles und nicht jede nach Herzenslust beuteln kann, will er nicht selbst als Gebeutelter enden. Womit wir wieder bei Nietzsche wären…

Kalle für alle

Kalle der „Weichweiler

Bilder: Elmar Schnitzer

Zum Gastautor Elmar Schnitzer

Ein Gastbeitrag von Elmar Schnitzer, Hamburger Journalist, Bestseller-Autor und Herrchen von Rottweiler Kalle. Elmar Schnitzer ist u.a. Autor der Besteller „Ein Glücksfall namens Paul“ und „Kalle für alle“ (erschienen bei LangenMüller).

Mehr zu Elmar Schnitzer findet ihr in seinem Statement zu „Ein Leben mit Hund ist einzigartig, weil…“, im TV-Interview, in unserem „3 Fragen an…-Interview“ und in seinen zwei vorigen Gastbeiträgen „Kalle, der Gassi-Schwimmer“ sowie in „Faszination Hund„.

 

 

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