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Interview mit Dr. Ute Busch: Trauer um ein Tier

Abschied nehmen von seinem Hund
Neele
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Jedes Jahr sterben laut Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas Millionen Haustiere, allein ungefähr 1,5 Millionen Katzen und Hunde. Jeder kennt vermutlich dieses schmerzende, bedrückende Gefühl, das tiefe Loch, in das man nach einem Verlust fällt. Im Trauerprozess können aber noch deutlich mehr Gefühle auftauchen: von Traurigkeit, Hilflosigkeit bis hin zu Wut, Angst und Schuld sowie Scham.

Laut Verbraucherinitiative belastet der Verlust besonders stark, wenn die Besitzer ihre Tiere einschläfern oder in einer Ausnahmesituation alleine lassen müssen. So führte der Hurrikan Katrina im Jahre 2005 bei einigen Menschen zu erheblichen Schwierigkeiten in der Verlustverarbeitung: Viele mussten bei Rettungsaktionen ihre Tiere zurücklassen.

Da die Trauer um Haustiere in unserer Gesellschaft immer noch wenig akzeptiert ist, unterdrücken sie viele Tierhalter. Für die Trauerbewältigung ist aber das Zulassen und Reden über Gefühle und der Austausch mit gleichfalls betroffenen Menschen von immenser Bedeutung.

Dr. Ute Busch, Tierärztin aus Kleinmachnow, begleitet Haustierbesitzer, wenn ein Tier gestorben ist. In vielen Fällen ist sie auch bereits in der Phase davor für die Tierhalter da (Sterbebegleitung). Diese Begleitung bieten nur wenige an. Warum ist die Trauer um ein Tier in unserer Gesellschaft immer noch nicht akzeptiert? Warum nimmt sie nicht dieselbe Stellung ein, wie die Trauer um einen nahestehenden Menschen?

Der Fiffibene Hundeblog hat Dr. Busch zu diesem Thema interviewt.

Trauer um ein Tier

Foto: Ute Busch/by Paolo

Wie helfen Sie den Hinterbliebenen?

Wenn ich das Tier einschläfern muss, versuche ich, es so schonend und sanft wie möglich zu machen. Denn oft sind es negative Erfahrungen mit dem Prozess der Euthanasie, die bei den Tierbesitzern eine große Angst auslösen. Ich nehme mir viel Zeit beim Prozess des Abschiednehmens und frage immer nach, ob der Besitzer soweit ist, wenn die finale Spritze gegeben werden soll. Geht das Tier dann friedlich und ohne Todeskampf, schläft es also langsam ein, ohne sich zu quälen, können Herrchen und Frauchen den Tod meist besser akzeptieren. Anschließend bleibe ich meist noch einen Moment, und höre zu, was der Besitzer über sein Haustier zu erzählen hat und welche gemeinsamen Erlebnisse es gibt. Es hilft, unmittelbar nach dem Abschied Erinnerungen wach werden zu lassen, die schön, lustig oder aufregend waren. Diese Erinnerungen sind ja meist positiv besetzt und zeigen dem Besitzer auch, wie viele schöne Stunden sie mit ihrem tierischen Gefährten verbringen durften.

Die Entscheidung, wann es Zeit ist, sein Tier gehen zu lassen, ist eine der schwersten…wie helfen Sie den Besitzern dabei?

Das stimmt. Für viele Tierbesitzer ist diese Entscheidung eine der schwierigsten, zumal es auch um medizinische Fragestellungen geht, die für den Besitzer schwer einzuschätzen sind. Außerdem spielen ethische Fragen eine große Rolle. Viele Menschen tun sich zu Recht schwer damit, darüber zu bestimmen, ob das Leben des ihnen anvertrauten und geliebten Haustieres überhaupt beendet werden darf. Auch wenn das Tier in der freien Natur möglicherweise schon längst nicht mehr am Leben wäre, kann dieser Maßstab nicht für unsere Haustiere gelten, die medizinisch immer besser versorgt werden und daher auch immer älter werden. Es muss daher sorgfältig abgewogen werden, was nicht nur für den Besitzer, sondern auch für das unter Umständen stark leidende Tier am besten ist. An diesem Punkt kommen auch der persönliche Hintergrund des Tierbesitzers und dessen Emotionen ins Spiel. Welche Zweifel gibt es? Geht es um Schuldgefühle? Um Scham? Um die Angst, den falschen Zeitpunkt für das Lebensende des Tieres zu finden beziehungsweise zu früh oder zu spät eine Entscheidung zu treffen? Ich helfe den Besitzern dabei, ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren.

Wie?

Nach gründlicher Untersuchung informiere ich erst einmal sachlich über den Gesundheitszustand des Tieres und den zu erwartenden Krankheitsverlauf.  Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Woran erkenne ich, dass das Tier leidet? Hat es starke Schmerzen? Wie ist der Appetit? Frisst insbesondere die alte Katze überhaupt noch? Können der Urin- und Kotabsatz noch kontrolliert werden?  Findet noch selbstständig Körperpflege durch das Tier statt? Besteht noch Hoffnung auf Heilung beziehungsweise Besserung des Gesundheitszustandes?  Aus all den Antworten leitet sich die Lebensqualität für das Tier ab und die Frage, ob palliative Maßnahmen ergriffen werden können, um das Leben des Tieres lebenswerter zu machen. Dabei steht meist im Vordergrund, Schmerzen zu lindern. Helfen die Medikamente, haben die Besitzer noch etwas Zeit, sich auf die Situation einzustellen und sich in Ruhe zu verabschieden. Ist das jedoch nicht mehr möglich und ist erhebliches Leid des Tieres zu erwarten, erkennt der Tierbesitzer meist selber mit gutem Gespür, wann letztendlich der Zeitpunkt gekommen ist, das Tier zu erlösen.

Wie kann sich die Trauer seelisch und körperlich auswirken?

Prinzipiell ist die Trauer um ein Tier nicht von der Trauer um einen geliebten Menschen zu unterscheiden. Allerdings hängt das stark davon ab, wie eng die Bindung zu dem Tier war. War die Beziehung sehr eng, oder diente das Tier als Ersatz für eine menschliche Beziehung, dann durchlaufen die Besitzer die bekannten Trauerphasen (Nicht-Wahrhaben-Wollen, aufbrechende Emotionen, Auseinandersetzung mit dem Tod, Akzeptanz) genauso intensiv wie bei dem Verlust eines geliebten Menschen. Das kann neben vielen anderen Symptomen zu Depressionen, Antriebslosigkeit, Appetitmangel, Rückzug aus dem sozialen Leben und vielem mehr führen.

In welchen Situationen belastet der Verlust besonders stark?

Beispielsweise dann, wenn es einen anderen Verlust im Umfeld des Tierbesitzers gab. Und sicherlich auch dann, wenn das Tier der einzige Wegbegleiter des Tierbesitzers war und weder Freundeskreis noch Familie vorhanden sind. Insbesondere bei älteren, alleinstehenden Personen ist diese Lebenssituation besonders kritisch einzustufen, denn auch die mit dem Tier verbundene Routine des Alltags und teils die einzige Lebensaufgabe geht verloren. Da sich der ältere Mensch selten zutraut, nochmals ein Tier zu versorgen, bleibt er daher häufig alleine, was ihm nicht wirklich gut tut. Nicht zuletzt ist es besonders schwierig, den Verlust zu verkraften, wenn das Tier sehr plötzlich stirbt, ohne dass sich der Besitzer vorher darauf vorbereiten konnte. Das ist kaum zu begreifen und führt manchmal zu einer starken Traumatisierung.

Was ist der häufigste Rat, den Sie den Trauernden geben?

Ich gebe tatsächlich selten Ratschläge in der Trauerphase. Ich höre einfach nur aktiv zu. Wenn Fragen kommen, ob noch ein Tier angeschafft werden soll, und wenn ja, wann, dann versuche ich, den Trauernden individuell nach seiner Lebenslage zu beraten.

Wann kommen die Hinterbliebenen zu Ihnen: unmittelbar nach dem Tod oder erst später?

Meistens habe ich mit den Tierbesitzern beim Prozess des Einschläferns zu tun. Sehr viel seltener kommen trauernde Tierbesitzer zu mir, die den Tod ihres Tieres nicht überwunden haben. In diesen Fällen geht es sowohl um die Auseinandersetzung mit der erfolgten medizinischen Behandlung des Tieres als auch um die Aufarbeitung des Verlustes, insbesondere dann, wenn ein traumatisches Erlebnis damit verknüpft war.

Woran erkenne ich, dass meine Trauer noch nicht abgeschlossen ist oder ich sie sogar verdrängt habe?

Das kann ich nicht ohne weiteres erkennen, da die Trauer individuell sehr unterschiedlich ausgedrückt wird. Ich erlebte einmal einen Katzenbesitzer, der viele und bittere Tränen um seine Katze weinte, als ich sie einschläfern musste. Diese Tränen galten seinem vor vielen Jahren verstorbenen Vater, wie er mir später berichtete. Erst als die Katze starb, war er in der Lage, seine Gefühle auszudrücken und den Verlust des Vaters zu betrauern. Mit der Akzeptanz des Todes ist die Trauerarbeit meist abgeschlossen. Das merke ich daran, dass ich bereit bin für neue Dinge in meinem Leben, wie etwa ein neues Haustier.

Was war einer Ihrer schwersten Fälle?

Schwer zu sagen. Es ist emotional immer sehr belastend, ein junges Tier einschläfern zu müssen, das sein Leben noch vor sich hat. Ich erinnere mich an eine junge schwarze Katze, die noch kein Jahr alt war, als sie einen Autounfall hatte. Dabei erlitt sie schwerste Verletzungen an Hüfte und Wirbelsäule mit vollständiger Lähmung der Hintergliedmaßen. Der Besitzer fand die Katze erst, nachdem sie vermutlich schon einige Stunden im Straßengraben gelegen hatte. Sie war schon ganz kalt und miaute und schrie kläglich. Es war ein letzter Liebesbeweis, sie so schnell wie möglich von ihren starken Schmerzen zu erlösen, zumal auch keine Chance bestand, dass sie jemals wieder hätte laufen können. Unvorstellbar ihr Leid in den letzten Stunden und schwer begreiflich und hoch traumatisch die Situation für den Tierhalter. Das hat mich damals persönlich sehr mitgenommen.
Auch sehr schwer sind für mich die Fälle, in denen ich die Tiere und Tierbesitzer über Jahre begleitet und tiermedizinisch betreut habe. Gerade vergangene Woche habe ich einen Hund eingeschläfert, zu dem ich über die Jahre eine enge Bindung aufgebaut hatte. Seinen letzten treuen Hundeblick werde ich bestimmt nie vergessen. Da hätte ich am liebsten mit geheult. Und nicht vergessen kann ich den sehr alten und gebrechlichen Mann in meiner Sprechstunde, der mit seiner alten und schwer nierenkranken Katze alleine lebte und sich entschieden hatte, sie in Würde sterben zu lassen. Bis zum letzten Atemzug streichelte er sie liebevoll mit Haltung und Gefühl. Ihm war klar, dass es kein Tier mehr in seinem Leben geben würde, und dass auch ihm nicht mehr viel Zeit bliebe.

Wie lässt sich die Trauer am besten verarbeiten?

Das ist individuell sehr unterschiedlich. Allgemein ist jeder Trauer gemeinsam, dass es einen Verlust gab, den wir kompensieren möchten. Trauer heißt auch, die Endlichkeit des Leben zu fühlen. Daher weinen wir um das, was gewesen ist und nicht mehr wiederkommen kann. Daher finde ich es wichtig, einen Raum für Erinnerungen zu schaffen. Dabei können Rituale zum Abschied des Tieres einen großen Halt geben, wie zum Beispiel eine Tierbestattung in würdigem Rahmen. Zur Trauerverarbeitung können wir auch an einen bestimmten Ort gehen, an dem wir an das Tier denken, wie etwa in einen schönen Garten oder in einen Tierfriedhof. Auch Erinnerungsstücke und Fotos sowie das Gespräch oder der Austausch in Foren sind hilfreich.

Wie füllen die meisten die entstehende Leere?

Viele Tierbesitzer füllen die Leere mit einem neuen Haustier. Die neue Verantwortung schafft nicht nur Ablenkung, sondern auch Trost, Liebe und Dankbarkeit. Das Gefühl, wieder gebraucht zu werden, verhindert, in ein großes Loch zu fallen. Und nicht zuletzt bringt das neue Tier viel “Leben in die Bude”, erst recht, wenn es sich um einen Welpen handelt. Kommen dabei Erinnerungen an den alten Wegbegleiter hoch, so findet damit auch eine Auseinandersetzung mit seinem Tod statt und es fällt möglicherweise leichter, diesen zu akzeptieren.

Hatten Sie auch bereits Kinder in der Beratung? Was raten sie den Eltern?

Nein, in der Beratung hatte ich noch keine Kinder. Beim Einschläfern sind Kinder häufiger dabei, aber nur, wenn sie es selber möchten und die Eltern es zulassen. Ich finde das vollkommen ok, denn über den Tod des Tieres können Kinder mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden. Auch in frühem Lebensalter sollen Kinder nicht von allen schmerzhaften Dingen fern gehalten werden, selbst wenn wir Erwachsenen die Trauer unserer Kinder kaum ertragen können. Vor einiger Zeit habe ich einen alten Hund erlöst und die ganze Familie mit drei Kindern und Baby waren dabei. Die Kinder haben herzerweichend geschluchzt und waren doch von Anfang bis Ende bei ihrem Hund. Diese Gefühle waren sehr echt und ein Stück Trauerverarbeitung für die Kinder. Aber nicht jedes Kind ist in der Lage, diese Schmerzen beim Tod seines Haustieres zu ertragen und das ist genauso akzeptabel.

Viele Trauernde sehen sich mit einem Umfeld konfrontiert, das wenig Verständnis zeigt. Ein häufig gehörter Spruch: „Es war doch nur ein Tier…“ Wie sollten Trauende darauf reagieren?

Ich finde, dass das Verständnis auch für die Trauer um ein Tier allgemein zunimmt. Das ist eine schöne Entwicklung und zeigt mir auch den hohen Stellenwert von Tieren in unserer Gesellschaft. Erst wenn die Trauer pathologisch wird, d.h. der Trauernde sein Leben nach dem Tod seines Tieres nicht in den Griff bekommt, gibt es viel Unverständnis. Es fällt in diesen Fällen erst recht schwer, auf solche Sprüche wie “es war doch nur ein Tier” zu reagieren. Denn häufig steht das Tier in diesen Fällen stellvertretend für andere Verluste im Leben. Ich rate zu professioneller Hilfe, wenn die Trauer alleine nicht verarbeitet werden kann.

Patricia B. McConnell, u.a. Autorin des Buches „Das andere Ende der Leine“, schreibt in einem ihrer Bücher, dass sie ihren toten Hund eine Nacht im Haus hat liegen lassen. Das hat sie vor allem für ihre anderen Hunde getan. Was ist der Hintergrund?

Es geht um das Abschiednehmen. Ich habe viel Erfahrung in den Hausbesuchen gesammelt, bei denen mehr als ein Tier anwesend war. Hatte ich das eine Tier erlöst, näherte sich das verbliebene Tier dem toten Tier, schnüffelte kurz an ihm und nahm dann schnell Abstand. Ob es notwendig ist, das tote Tier eine ganze Nacht im Haus liegen zu lassen, kann ich nicht beurteilen. Die verbliebenen Tiere spüren nämlich normalerweise sehr schnell, dass der Gefährte tot ist und haben dann keine Veranlassung mehr, sich ihm zu nähern.  Aber ich kenne das Buch von der Autorin nicht und kann daher nur Vermutungen anstellen.

Ein letzter Rat…

Tiere sind tolle Partner und daher rate ich jedem Tierliebhaber, sich nach dem Tod seines Haustieres wieder ein Tier anzuschaffen, solange er es gut versorgen kann. Das ist kein Verrat an dem Vorgänger! Er soll sich jedoch gewissenhaft die Frage stellen, ob er immer noch die Zeit und Möglichkeiten hat, das Haustier in seinen Alltag zu integrieren. Daher bitte ich darum, sich vorher zu informieren, welche Rasse und welches Tier in Frage kommen. Keine Spontan-Entscheidungen bitte, das ist selten hilfreich.

Herzlichen Dank für dieses sehr interessante und tiefgehende Gespräch, Frau Busch!

Über Dr. Ute Busch
Dr. Ute Busch ist seit 25 Jahren Tierärztin und seitdem immer wieder mit dem Tod von Tieren konfrontiert. Sei es, weil sie ein Tier einschläfern musste, weil es unheilbar krank war, oder weil ein Tier verunglückte und sein Leben nicht mehr zu retten war. Manchmal hat Busch die Patienten ein Leben lang begleitet, dann wieder sah die Tierärztin sie zum Zeitpunkt des Todes zum ersten Mal. „Jedes Mal ist es anders, denn jedes Tier und jeder Besitzer ist anders, die Situationen sind andere, die Umstände der Euthanasie sind auch nie gleich“, erzählt Ute Busch. Denn leichter wird es für die Ärztin mit Herzblut nie: „Immer wieder muss ich Worte finden in einer Situation, in der es eigentlich keine richtigen Worte gibt. Es sind Ausnahmesituationen, wenn das Tier eingeschläfert wird – für den Besitzer, aber auch für mich. Ich habe zwar unendlich oft erlebt, wie ein Tier stirbt, allerdings bin ich jedes Mal wieder tief berührt. Seitdem Ute Busch Psychotherapeutin ist, bietet sie Trauerbegleitungen an, die sie meist in einer bzw. zwei gesprächstherapeutischen Sitzungen anbietet.

 

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Kategorie: Aufmacher, Beziehung, Hund & Mensch

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Hi, ich bin Neele, #Hundenärrin, #Hundemama, #Hundehaarmagnet, #Bücherwurm, #Textmaniac, #Yogi www.om-sweet-om.de. Auf diesem Hundeblog schreibe ich über das Leben mit Hund. Im Hundeblog findet ihr Trends, Lustiges, Ernstes, Absurdes, Wissenswertes. Ich sage nur: Let the dogs rock the world!

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